Wann haben Sie das letzte Mal bewusst "Nein" gesagt?

09.05.2023

Sie kennen das sicher: Es gibt Menschen, die keinerlei Berührungsängste haben, Nein zu zusätzlichen Aufgaben zu sagen oder Themen strikt (und hoffentlich begründet) abzulehnen. Häufig neigt man dazu, eine solche Eigenschaft zu bewundern und im gleichen Atemzug hat man sich dazu bereit erklärt, die besagte Aufgabe selbst zu übernehmen. Oder Sie erinnern sich bestimmt nur zu gut an Situationen, in denen Sie einem Teammitglied ein Thema rasch abgenommen haben, obwohl Ihre eigene To-do-Liste bereits überquoll.

Eine bewusste Abgrenzung, ein überlegtes und begründetes Neinsagen ist für Sie als Führungskraft eine zentrale Aufgabe und wichtig für Sie als Persönlichkeit sowie für Ihr Unternehmen. Dies erfordert eine Kultur, die ein Neinsagen auch unterstützt und ermöglicht. In vielen (in der Außendarstellung Vermeintlichen) High-Performance-Organisationen scheint es noch immer nicht opportun, Nein zu sagen. Als Ergebnis stehen Extra-Meilen, Nachtschichten und Wochenendarbeit auf der Tagesordnung und ich frage mich, wie es hier um die Performance in Bezug auf Effizienz bestellt ist.

Um dieses nicht mehr zeitgemäße Verhalten bei sich und den Mitarbeitenden zu verändern und so in der Lage zu sein, sich persönliche Grenze zu setzen, bedarf es einer psychologischen Sicherheit, dies auch tun zu können. Im Umkehrschluss heißt es aber nicht, hierdurch die Gelegenheiten zu schaffen, sich in ein Nein flüchten zu können, um zusätzliche Arbeit zu vermeiden. Mir ist es wichtig zu betonen, dass das Neinsagen in einem angemessenen und respektvollen Rahmen erfolgen sollte. Es geht darum, klare Entscheidungen zu treffen und die richtigen Prioritäten zu setzen, ohne andere Aufgaben abzuwerten oder zu vernachlässigen. Es ist jedoch auch wichtig zu beachten, dass das richtige Maß an Flexibilität und Offenheit ebenfalls entscheidend ist. Nein zu sagen, soll nicht bedeuten, ablehnend zu sein, sondern bewusste Entscheidungen zu treffen und Ressourcen effektiv einzusetzen.

Das Neinsagen als Führungskraft hat für mich daher drei Aspekte: auf der Sachebene zunächst die Notwenigkeit, für sich selbst Grenzen zu setzen und nicht „last Person Standing“ sein zu müssen. Darüber hinaus gilt es sich, wenn nötig, bei unrealistischen und nicht prioritären Anfragen schützend vor das Team zu stellen, um eine ständige Überlastung zu vermeiden und die Teamperformance nicht zu gefährden. Wenn im Unternehmen die Prioritäten klar sind und die psychologische und damit kulturelle Sicherheit gegeben ist, dann gelingt auch ein Neinsagen - sollte man denken. Dies bringt mich zur dritten und vielleicht wichtigsten Komponente, der persönlichen: Was nun, wenn die sachlichen Aspekte gegeben sind und Sie dennoch die meist selbst gesetzte Hürde zum Nein nicht überwinden können? Wie kann es schlussendlich gelingen?

Der größte Feind des Neinsagens ist das eigene Ego! Was meine ich damit? Häufig sind es eigene Konditionierungen aus der Sozialisierung, die uns blockieren und in uns den Drang wecken, alles selbst und sofort bewältigen zu müssen. Wenn wir in einer solchen Haltung bleiben, ist das oft ein Indiz dafür, dass wir in der Vergangenheit verharren und nicht bewusst bei uns selbst und unseren Stärken sind. Selbst wenn wir dann die Aufgabe übernehmen und unsere eigenen (Kapazitäts-)Grenzen überschreiten, wird die Aufgabe oft nicht in der gewünschten Perfektion vollbracht. Auslöser dafür sind das Streben nach Perfektion und Detailverliebtheit. Auch wenn diese bei Mitarbeitenden vorherrschenden Verhaltenskriterien für Unternehmen vordergründig sehr gut sind, so können sie für das einzelne Teammitglied falsch eingesetzt, eher schädlich sein. Denn die betreffende Person überschreitet auf diese Weise regelmäßig ihre Grenzen. Nicht selten handelt es sich dabei um eine Führungskraft, die damit auch noch ein falsches Vorbild ist.

Wie kann es uns daher gelingen, bewusst Nein zu sagen und was ist der Mehrwert daraus? Denn wie wir alle wissen, verändern wir unser Verhalten nur dann, wenn wir einen direkten Benefit für uns darin erkennen können.

Meine Gedanken:

  1. Einsicht und Erkenntnis: Zunächst sollten wir uns ins Bewusstsein rufen, dass es nicht unhöflich ist, Nein zu sagen. Es ist jedoch in der Tat eine Frage der Kommunikation, genauer des Tonfalls.
  2. Schutz vor Überlastung: Als Führungskraft tragen Sie Verantwortung und haben oft einen breiten Aufgabenbereich. Ein Nein zu zusätzlichen Aufgaben oder Projekten kann dazu beitragen, Überlastung zu vermeiden. So stellen Sie sicher, dass Sie Ihre Arbeit in angemessener Qualität erledigen. Durch die Vermeidung von Überlastung schützen Sie Ihre eigene Gesundheit und können langfristig eine nachhaltige Leistung erbringen.
  3. Förderung von Verantwortung und Entwicklung: Indem Sie Nein sagen und Aufgaben delegieren, geben Sie Ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und sich weiterzuentwickeln. Dies fördert ihr Wachstum und stärkt ihr Vertrauen. Indem Sie Aufgaben abgeben, schaffen Sie auch Raum für neue Talente und Ideen, die das Potenzial haben, Ihr Team voranzubringen.
  4. Wahrung der strategischen Ausrichtung: Als Führungskraft müssen Sie die langfristige strategische Ausrichtung Ihres Unternehmens im Blick behalten. Ein Nein kann sinnvoll sein, um sicherzustellen, dass Entscheidungen und Aktivitäten im Einklang mit den übergeordneten Zielen und der Vision stehen. Es erlaubt Ihnen, selektiv zu sein und vor allem Opportunitäten zu verfolgen, die wirklich einen Mehrwert bieten.
  5. Authentizität und Integrität: Nein zu sagen, wenn es gerechtfertigt ist, zeigt Authentizität und Integrität. Es zeigt, dass Sie Ihre Überzeugungen und Werte vertreten und keine Kompromisse eingehen, wenn es um das Wohl Ihres Teams oder Ihrer Organisation geht. Dies fördert das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit sowohl intern als auch extern.
  6. Und zu guter Letzt noch eine praktische Hilfestellung: Das Bauchgefühl kann manchmal auch eine gute Entscheidungshilfe sein: „Kein klares Ja ist ein Nein“.

In diesem Sinne bleiben Sie gesund, offen und sagen Sie bewusst JA zu sich selbst!

Ihre

Sandra Günther