Leadership zwischen Verletzlichkeit und Stärke

14.01.2025

Am Finaltag der Australian Open erlebte ich einen Gänsehaut-Moment: Alexander Zverev, einer der besten Tennisspieler unserer Zeit, stand nach dem verlorenen Finale vor der Weltpresse und sagte: "Ich bin nicht gut genug." Ein Satz, der Ehrlichkeit und Verletzlichkeit gleichermaßen transportierte – und gleichzeitig eine unerschütterliche Kampfbereitschaft für die Zukunft ausdrückte. Denn trotz der Enttäuschung betonte Zverev, dass er sich bereits auf die nächste Herausforderung freue und weiter für den nächsten Titel kämpfen werde.

Diese Worte trafen mich mitten ins Herz. Sie sind selten in einer Welt, die Perfektion und Unfehlbarkeit erwartet – insbesondere von uns Führungspersönlichkeiten. Doch genau diese Offenheit verleiht der Aussage immense Kraft. Sie erinnert uns daran, dass Zweifel und Scheitern menschlich sind – und dass der wahre Unterschied in der Reaktion darauf liegt.

Zverev zeigt eindrucksvoll, dass das Annehmen einer Niederlage - so schwer diese uns auch fallen mag - der erste Schritt zur Weiterentwicklung ist. Es geht nicht darum, die Enttäuschung zu ignorieren oder kleinzureden, sondern sie bewusst zu akzeptieren.  Nur wer seiner Fehler anerkennt, kann gezielt an ihnen arbeiten und gestärkt daraus hervorgehen. Vielleicht kennen Sie solche Momente aus Ihrem eigenen Leben – jene schmerzhaften, aber lehrreichen Situationen (diese Erkenntnis kommt fairerweise meist erst in der Retrospektive), in denen man sich entscheiden muss: Aufgeben oder weitermachen.

Was nun aber können wir für unsere Führungsrollen daraus lernen? Nicht die Fehlerfreiheit zeichnet eine starke Führungskraft aus, sondern der Umgang mit Rückschlägen. Zverev macht es vor: Wahres Leadership bedeutet, Schwächen einzugestehen, ohne die Entschlossenheit zu verlieren. Diese Authentizität schafft Vertrauen – ein oft unterschätzter Erfolgsfaktor im Arbeitsalltag.

Eine Schlüsselrolle in dieser Szene spielte der Gewinner des Finales, Jannik Sinner. Seine Worte an Zverev – „Wir glauben alle an Dich“ – waren mehr als bloßes Fairplay. Sie standen für wahre Größe und Solidarität. Anerkennung und positives Feedback sind nicht nur im Sport essenziell, sondern auch im beruflichen Kontext. Führungskräfte, die ihren Mitarbeitenden nach Niederlagen signalisieren, dass sie an sie glauben, können ungeahnte Potenziale freisetzen. Denn in diesen Momenten zeigt sich, wer wirklich hinter seinem Team steht.

Wertschätzung hilft uns, Scheitern in den richtigen Kontext zu setzen und daraus Motivation zu schöpfen. Sie erinnert uns daran, dass wir nicht allein sind und unsere Anstrengungen gesehen werden – auch wenn es schwerfällt, dies im Moment der Niederlage anzunehmen.

Mein Gedanke:

Der Moment zwischen Zverev und Sinner vermittelt eine essenzielle Erkenntnis: Wahres Leadership erfordert die Balance zwischen Verletzlichkeit und Wertschätzung. Niederlagen sind unvermeidlich, doch sie definieren uns nicht. Entscheidend ist die Bereitschaft, fortzufahren – und ein Umfeld zu schaffen, das von gegenseitiger Unterstützung geprägt ist.

Als Führungskraft sollten wir uns bewusst machen, dass das Annehmen von Rückschlägen ebenso bedeutend ist wie die Anerkennung der Wertschätzung anderer. Oft genügt ein einziger Satz, um Menschen neue Kraft zu geben und sie zum Weitermachen zu ermutigen.

In diesem Sinne, lassen Sie uns aus unseren Niederlagen lernen, einen gesunden Umgang in unseren Teams fördern und gemeinsam einer Kultur der Wertschätzung stärken.

Herzliche Grüße,

Ihre

Sandra Günther