Homeoffice und Co.: Kontrollverlust oder notwendiger Freiraum
09.08.2022
Ich hatte vergangene Woche im Bekanntenkreis eine spannende Diskussion darüber und eine Aussage ist nach wie vor präsent in meinem Kopf: „Wir können die Zahnpasta nicht zurück in die Tube drücken“. Das Bild trifft es für mich absolut. Freiheiten, die keine negativen Auswirkungen haben, sind aus keinem ersichtlichen Grund vollends zurückzunehmen. Die Zeiten haben sich geändert. Uns wurde der Beweis angetreten, dass effizientes und gutes Arbeiten auch von zuhause möglich ist, sodass also das physische Miteinander im Büro nicht mehr die Grundvoraussetzung für hohe Produktivität sein muss.
Apple geriet dafür sogar massiv in die Kritik, als sie alle Mitarbeitenden wieder für drei Tage pro Woche im Rahmen eines Hybridmodells zurück ins Büro beorderten. An sich ist das sicherlich ein gängiges Modell, das viele von Ihnen ebenso umsetzen. So bezeichnete der Apple CEO Tim Cook die Vorteile des persönlichen Zusammenarbeitens als „unersetzlich“. Dies wurde als ein Zeichen von Angst vor der Autonomie der Mitarbeitenden und als Kontrollverlust interpretiert, gleichsam ein Schlag ins Gesicht für alle, die in der Pandemie hervorragende Arbeit geleistet haben.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin ein großer Fan davon, im Büro zu sein. Ich liebe den Kontakt zu Menschen, tausche mich gerne persönlich aus und eben nicht ausschließlich via Videokonferenz. Nach wie vor bin ich zudem der Meinung – und hierüber wurde auch bereits trefflich diskutiert und geschrieben – dass es die hybride Mischung aus Flexibilität und Anwesenheit benötigt, um Innovation Raum zu lassen und das Miteinander zu leben.
Daher denke ich, dass es für jedes Unternehmen, ja sogar für jedes Team individuell notwendig ist, den richtigen Mix zu finden. Dabei darf nicht die alleinige Präferenz der Führungskraft entscheidend sein. Es sollte stets eine Lösung gemeinsam mit den Mitarbeitenden erarbeitet werden, die insbesondere die individuell anfallende Arbeit und die Möglichkeiten des Unternehmens berücksichtigt. Hierfür gibt es keine Blaupause, zu unterschiedlich sind die Tätigkeiten und Unternehmenszwecke.
Gerade heute im Kampf um einzelne Talente ist es nicht mehr en vogue seine Meinung durchzuboxen, nur weil man die Möglichkeit hat. Am allerwichtigsten ist daher der Dialog, das Einbeziehen der Mitarbeitenden – Apple hat dies im Übrigen versäumt und gerade auch deshalb massiv Gegenwind bekommen.
Ob es uns persönlich gefällt oder nicht, die Art und Weise wie wir arbeiten, hat sich definitiv verändert. Bevor Sie also tatsächlich „anordnen“, die Zeit zurückzudrehen, und das Risiko eingehen, wichtige Mitarbeitende zu verlieren bzw. nicht mehr für sich gewinnen zu können, sollten Sie sich vorab einige wichtige Fragen stellen. Im Grunde sollten Sie erörtern, was Sie daran hindert, die Flexibilität nicht zuzulassen, insofern keine ausschlaggebenden unternehmerischen Argumente dagegensprechen.
Meine Gedanken:
- Wie viele Tage pro Woche waren Sie vor März 2020 denn tatsächlich persönlich im Büro?
- Mit wie vielen Mitarbeitenden hatten Sie direkt zu tun? Mit welchen haben Sie die meiste Zeit verbracht und weshalb?
- Wie sieht die Bürokultur aus? Wie war das Miteinander vor März 2020 und wie ist es heute? Sind nach- bzw. vorteilige Veränderungen festzustellen?
- Hat Ihr Unternehmen durch das mobile Arbeiten tatsächlich an Effizienz und Erfolg eingebüßt? Wenn ja, wie? Inwiefern? Seien Sie konkret.
- Wenn nein, warum genau fordern Sie dann 5 Tage Büroanwesenheit?
- Beziehen Sie Ihre Mitarbeitenden, Teams und Führungskräfte mit ein und diskutieren individuell, wie ein für alle Seiten gutes und produktives hybrides Modell aussehen könnte?
In diesem Sinne, bleiben Sie gesund, offen, ehrlich zu sich und flexibel!
Ihre
Sandra Günther